Mit dem Begriff Dachmarke ist es wie mit vielen anderen Begriffen, die in der Literatur und in Lehrbüchern erklärt werden: Theoretisch und anhand eines Beispieles ist immer alles ganz einfach. Geht man aber in die Tiefe und betrachtet unterschiedliche Märkte, so wird es ziemlich schnell ziemlich kompliziert und unübersichtlich.
Dass insbesondere die Markenarchitektur so kompliziert und unübersichtlich wurde, ist kein Wunder, denn viele Begrifflichkeiten, die wir heute nutzen, stammen noch aus Zeiten, als der Handel klar und einfach strukturiert war, die Globalisierung war weniger weit fortgeschritten und irgendwelche hochverzweigte Firmenkonstrukte waren noch nicht so weit verbreitet.
Grundlegendes
Die Dachmarke ist innerhalb eines Markensystems der Überbau, klar: das Dach halt. Das Ziel einer Dachmarke ist es, vom Wiedererkennungswert, der Akzeptanz und dem Image eines bekannten Namens zu profitieren und einen entsprechenden Imagetransfer auf die einzelnen Produkte und/oder Untermarken herzustellen. Das spart natürlich Kommunikationskosten, birgt aber auch gewisse Risiken, doch dazu später.
Das gleiche Prinzip verfolgt natürlich auch ein Franchisegeber – im Unterschied dazu gehören dem Dachmarken-Inhaber die nachgelagerten Monomarken und die entsprechenden Unternehmen, während Franchise-Nehmer rechtlich selbstständige Firmen sind.
Nur weil eine Dachmarke vorhanden ist, heißt das noch lange nicht, dass das Unternehmen in der Kommunikation auch eine Dachmarken-Strategie verfolgt. Auch hier gibt es zahlreiche Abstufungen, Varianten und Möglichkeiten. Und um das Ganze noch zu verkomplizieren: Eine Dachmarken-Strategie muss keinesfalls für alle Produkte und Untermarken verwendet werden. Auch da gilt: Früher war alles viel einfacher!
Nehmen wir als Beispiel die bekannte Marke NIVEA
Zuerst einmal: NIVEA gehört Beiersdorf. Ein börsennotiertes Unternehmen mit Sitz in Hamburg-Elmsbüttel. Allerdings befindet sich Beiersdorf im Mehrheitsbesitz der maxingvest ag, einem Holdingunternehmen der Familie Herz (sehr reiche Leute!). Die maxinvest ag wiederum hieß früher Tchibo Holding AG – genau: der Kaffee und ist nun die Dachgesellschaft der beiden Teilkonzerne Tchibo und Beiersdorf. Tchibo wiederum, aber das nur, weils halt so lustig ist, wurde von Max Herz (Kaffeehändler – siehe oben) und dem Gewürzhändler Carl Tchiling-Hiryan gegründet – und heisst Tchibo, weil: Tchiling-Bohne. Unnützes Wissen – bleibt aber im Kopf?
Beiersdorf wiederum ist vor allem in drei Bereichen tätig: Hautpflege, Klebetechnologie und Wundversorgung.
Hautpflege: hierzu gehören die Marken Nivea, Eucerin, La Prairie, Labello, 8×4, atrix, Hidrofugal – und noch ein paar andere, die in Europa nicht oder nur sehr selektiv vertrieben werden (Slek, zum Beispiel, das in China eines der führenden Haarpflegeprodukte ist).
Nivea wiederum produziert Produkte für die Gesichtspflege, Körperpflege, Deo, Haarpflege, Produkte für Männer und Sonnenschutzprodukte.
So und jetzt die Frage: Was ist denn jetzt die Dachmarke?
Beiersdorf? Maxinvest? Nivea? Tja… wenn es so einfach wäre.
Die einen sagen so: „Die Marke Nivea wurde in den vergangenen Jahrzehnten zur Dachmarke mit diversen Submarken und umfasst heute Reinigungs- und Pflegeprodukte für den ganzen Körper“: Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Nivea …
Die anderen sagen so: Beiersdorf ist eine Dachmarke im Konsumgüterbereich (Nival, tesa, …) Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Dachmarke#Beispiele
Und wieder andere sagen so: Ausbau der Dachmarke. Studien in den 1980ßer-Jahren hatten ergeben … dass das Vertrauen der Verbraucher in die Marke NIVEA extrem hoch war. Quelle: https://www.beiersdorf.de/marken/markengeschichte/nivea
Wir haben also: 2x Nivea = Dachmarke, 1x Beiersdorf = Dachmarke. Man kann’s also von verschiedenen Seiten her betrachten. Was mich zur Wiederholung meines Mantras bringt: Wer immer erzählt, er wisse genau und als einziger, wie etwas genau sei – der lügt!
Versuch einer Definition
Eine Dachmarke ist dann gegeben, wenn ein vorgelagerter Markenname dazu benutzt wird, die nachgelagerten Marken in kommunikativer Hinsicht (in Bezug auf Image, Bekanntheit etc.) zu unterstützen und damit quasi als Beweisführung (z.B. als „reason why“) dient, die Akzeptanz und damit die Kaufbereitschaft der nachgelagerten Marken zu steigern.
Nach dieser (eigenen) Definition ist eine Dachmarke also nicht per se gegeben, sondern abhängig davon, ob diese Marke auch entsprechend genutzt wird. Das ist ein großer – und meines Erachtens – wichtiger Unterschied zu den einfachen, simplen und daher nur in Ausnahmesituationen richtigen Defintionen wie sie im Allgemeinen durch die Lehrmittel geistern.
Ebenfalls klar sein muss, dass eine Dachmarke gleichzeitig eine Globalmarke als auch eine Einzelmarke sein könnte – ein Venn-Diagramm könnte hier etwas Licht ins Dunkel bringen.