Einfach: Komplementärprodukte sind Güter (oder Dienstleistungen), die gemeinsam nachgefragt werden, weil sie sich ergänzen. Je stärker sich die Produkte ergänzen, desto stärker ist die Abhängigkeit voneinander. Im Extremfall hat man so genannte „vollkommene Komplemente“, Produkte, die nur und ausschliesslich zusammen gekauft werden. Wie alle extreme sind vollkommene Komplemente sehr selten –linke und rechte Schuhe sind aber schon sehr nahe dran.
Typische Komplementärprodukte
- Auto – Treibstoff
- Computer – Bildschirm
- Drucker – Tinte
- Kaffeemaschine – Kaffee
- etc.
Der Komplementätsgrad kann sich auch verändern – wie bei den Autos. Diese werden immer sparsamer, entsprechend wird prozentual weniger Benzin nachgefragt bei zunehmender Nachfrage nach Autos. Bei Bildschirmen ist es „umgekehrt“ – diese wurden immer billiger. Die Folge: immer häufiger werden zwei Bildschirme an einen Computer angeschlossen.
Wie man ein Komplementärprodukt lanciert, zeigte bereits John D. Rockefeller, der in China ein Petroleummonopol innehatte. Das kluge Kerlchen fing also an, in China Petroleumlampen zu verkaufen. 1902 verschenkte King Gillette (der hiess tatsächlich so) seine Rasiergeräte zu denen – so ein Zufall aber auch – nur seine patentierten Einwegklingen passten. Diese verkaufte er dann zu überhöhten Preisen (das macht Gillette bis heute so).
So, und diese Erkenntnisse bringen uns im Rahmen des Zieles dieser Seite – nämlich über den eigentlichen „Lernpunkt“ hinauszudenken, zu vernetzen etc. – zu folgenden Überlegungen bzw. Fragen: Welche Marketingstrategien, Marktbearbeitungsstrategien und Preisstrategien sind für Komplementärprodukte in welcher Situation möglich oder zumindest es Wert, angedacht zu werden?
Wie immer: Bitte selber denken! Meine Überlegungen sind Anhaltspunkte – sicher nicht die dümmsten, aber sicher auch nicht die einzig möglichen. Ausserdem: Ich schätze es sehr, wenn man meine Vorschläge in der Luft zerreisst – vorausgesetzt, man tut das auf Basis eigener und nachvollziehbarer und logischer Überlegungen und Argumente. Also… bitteschön!
Marketingstrategien und Komplementärprodukte
Wir können für die Marktbearbeitung mit Komplementärprodukten von verschiedenen theoretischen Ansätzen ausgehen, um mal zu sehen, ob und wie sich der sinnvolle Einsatz von unterschiedlichen Strategien bewähren würde, bzw. welche Strategie für welchen Zweck sinnvoll erscheint.
Variante 1:
Wir produzieren sowohl Das Hauptprodukt als auch das Komplementärprodukt (also zum Beispiel Zahnpasta und Zahnbürsten) – Zudem befinden wir uns in einer Konkurrenzsituation, und zudem in einem gesättigten Markt. Das ist bei Zahnpasta tatsächlich so – plus/minus jedenfalls (hier, bei uns – an der Elfenbeinküste mag das anders aussehen).
Haben wir die Marktführerschaft? Nein!
Spätestens hier schlagen die meisten Lehrbücher vor, eine Wettbewerbs- oder TM-Entwicklungsstrategie zu wählen. Die Überlegung ist sicher nicht falsch, aber halt schon doch etwas sehr einseitig. Was würde uns daran hindern, zu versuchen, den Markt zu entwickeln, indem wir die Nachfrage intensivieren? Möglich wäre das doch…
Ich würde das versuchen – indem ich zum Beispiel das Grundprodukt massiv verbillige, diese Verbilligung aber an den Kauf des Komplementärproduktes kopple (Dominante Marketinginstrumente: Preis und Promotion). Oder ich mache es wie Gillette: Ich verkaufe nur noch meine Zahnpasta, diese aber immer im Kombipack mit zwei Zahnbürsten… Entsprechend würde ich eine Hochpreisstrategie wählen – die fällt nicht so auf, wenn die Zahnpasta etwas teurer verkauft wird, dabei aber zwei Zahnbürsten mitgeliefert werden (oder eine, egal).
Weiterer Vorteil (kommunikativ gut zu kommunizieren – hallo BCB!): Durch den permanenten Wechsel der Zahnbürste wenn die Zahnpasta leer ist, leisten wir einen wirksamen Beitrag zur Zahngesundheit (natürlich sind unsere Büsten biologisch abbaubar… bla… bla…. Bla…)
Warum ich das versuchen oder zumindest durchdenken würde? Weil es alle anderen nicht so machen – die anderen (OralB, Elmex etc.) bieten auch beide Produkte an, fahren aber permanent auf einer Profilierungsschiene.
Variante 2:
Wir verkaufen nur das Komplementärprodukt (zum Beispiel Kaffee-Kapseln, die zu Nespresso-Maschinen passen – war ja ein elendes juristisches Hin und Her bis das möglich war, Patentrechtsstreitigkeit halt).
Wir haben jetzt also ein Problem – neudeutsch: Eine Challenge. In der SWOT-Analyse taucht unter jedem der Buchstaben einiges mit Relevanz auf – die Gefahr, dass der Automatenhersteller plötzlich die Technik ändert und unsere Kapseln nicht mehr passen, die Schwäche, dass wir halt nicht das Original sind und daher auch nicht das gleiche Vertrauen geniessen – die Chance, dass immer mehr Maschinen verkauft werden und der Markt sich entsprechend entwickelt…
So, und was können wir nun machen?
Entweder, wir verkaufen die Teile massiv billiger – aggressive Preisstrategie und hoffen, dass dadurch a) mehr Leute unsere Kapseln kaufen und b) mehr Leute Maschinen kaufen, weil dann der einzelne Kaffee nicht mehr so teuer ist und dann auch wieder unsere Kapseln kaufen – wir würden dann also mit einer aggressiven Preisstrategie versuchen, eine Nachfrageintensivierung und auch –ausweitung hinzubekommen (soviel zur strickten und sturen Trennung der einzelnen Marketingstrategien – ihr merkt schon, dass das eigentlich Quatsch ist, oder?)
- b) gefällt mir besser: Ich versuche, mit einer Teilmarktentwicklung ebenfalls eine Nachfrageausweitung und –intensivierung zu erreichen (jaha… das geht. Nix mit entweder oder). Also: Ich entwickle neue Produkte – zum Beispiel nicht Kaffee sondern Tee für die gleichen Kapseln (nochmals – das sind Gedankenansätze, die müssen jetzt nicht zu diesem Produkt genau passen, ich weiss selbst, dass Tee anders aufgebrüht wird als Kaffee – aber hey – die Techniker sollen auch noch was zu tun haben). Oder Kakao. Oder Glühwein. Egal. Oder halt auch anderen Kaffee – einfach was Neues. So. Damit können wir uns profilieren (Dominante Instrumente: Produkt, Promotion), entgehen dem Preiskampf einigermassen und können möglicherweise mehr Leute – und vor allem auch: andere Leute – zum Kauf einer Maschine bewegen (blöderweise stellen wir die nicht her) – die dann nicht nur Kaffee trinken sondern auch (unseren) Tee, Kakao, Glühwein etc. – also Marktentwicklung durch –ausweitung UND –intensivierung.
Preispolitik: Solange unsere Produkte nicht direkt vergleichbar sind – ausser mit dem Kaffee – würde ich eine Skimming-Strategie wählen, also Hochpreis mit Luft nach unten… irgenwann wird uns jemand kopieren, so wie wir das Orignal kopiert haben… dann sollten wir reagieren können.
So, wenn man bedenkt, wie kurz oftmals das Thema Komplementärprodukt abgehandelt wird…
Noch was zum Schluss: Wie nennt man eigentlich das Vorgehen, wenn sich ein Unternehmen entschliesst, neben dem Hauptprodukt jetzt auch noch die Komplementärprodukte herzustellen und zu vertreiben? Genau: Horizontale Diversifizierung. Man liest übrigens überall „Diversifikation“ – kann man so schreiben, ist dann halt Kacke. Es heisst ja auch nicht Elektrifikation, Mechanikation, etc.