Ja, der Bekanntheitsgrad – oft zitiert, oft genannt, immer gefragt und doch häufig so ganz und gar nicht verstanden, worum es eigentlich geht. Machen wir uns nichts vor – der Bekanntheitsgrad, allen voran der ungestützte – ist ein Arschloch.
Zuerst ungestützt – wie man es lernt…
Sie: „Guten Tag, wir machen eine Umfrage – bitte sagen Sie mir, welche Zahnpasta-Marken Sie kennen.“
Der/die Befragte: „Elmex, Aronal, Colgate, Blend-a-med, Sesodyne, Theramed“ – bei dieser Person ist Elmex zudem „top of mind“
Sie: „Vielen Dank“
So. Und nun? Nix. Damit können wir erst mal noch gar nichts anfangen – lediglich feststellen, dass die befragte Person sechs Zahnpasta-Marken kannte. Und alle anderen nicht. Oder sie kamen ihr grade nicht in den Sinn, oder die Person befand, es reiche jetzt und sie müsse noch Klopapier kaufen…“
Sinnvoll wird das Ganze erst, wenn wir eine umfassendere Stichprobe befragen, gehen wir mal von n=100 aus. Aus den Antworten machen wir eine kleine Tabelle, die etwas so aussehen könnte:
Markennennung | Anzahl der Nennungen (n=100) |
Elmex | 75 |
Aronal | 68 |
Colgate | 85 |
Blend-a-Med | 45 |
Sensodyne | 32 |
Theramed | 28 |
Dentalux | 18 |
Odol med 3 | 34 |
Candida | 56 |
Aus diesen Werten können wir nun erkennen, dass Elmex (bei der Stichprobe) einen ungestützten Bekannhteitsgrad von 75% hat. Wie hoch der Wert genau ist, hängt von der Passgenauigkeit der Stichprobe und von noch ein paar anderen Faktoren ab (wenn z.B. eine der Marken grade eine Werbekampagne durchführt, liegt der Wert bestimmt höher). Aber unabhängig davon ist die Aussage zumindest zum Zeitpunkt der Befragung richtig.
Aus dem oben Gesagten wird klar: Um einen ungestützten Bekanntheitsgrad zu nennen (als aktueller Stand oder als Ziel) bedarf es einer klaren Definition der Zielgruppe. Definieren wir den Bekanntheitsgrad als Ziel kommt zusätzlich noch ein Datum hinzu, bis zu welchem wir dieses Ziel erreichen wollen.
Die Frage „Kennen Sie Elmex?“ ist Bull-Shit. Damit kriegen Sie kein vernünftiges Ergebnis, denn kaum jemand würde „nein“ sagen – dieses Vorgehen wäre ein typischer systematischer Fehler.
Gestützter Bekannheitsgrad
„Guten Tag, wir machen eine Umfrage – bitte sagen Sie mir, welche Zahnpasta-Marken auf dieser Liste Sie kennen.“
Es folgt eine Liste mit verschiedenen Zahnpasta-Marken, auf den man ankreuzen (oder mündlich mitteilen) kann, welche dieser Marken einem bekannt sind. Nach der Umfrage (wieder n=100) könnte die Liste so aussehen:
Marke | Kenne ich | Kenne ich nicht |
Elmex | 88 | 12 |
Aronal | 91 | 9 |
Colgate | 98 | 2 |
Blend-a-Med | 65 | 35 |
Sensodyne | 45 | 55 |
Fresh-Mint* | 9 | 91 |
Theramed | 54 | 46 |
Dentalux | 32 | 68 |
Odol med 3 | 56 | 44 |
Candida | 98 | 2 |
*Fresh-Mint gibt es nicht. Die Nennung einer Phantom-Marke dient als Gradmesser dafür, wie „ehrlich“ die Befragten die Liste ausgefüllt haben.
Wir stellen fest: Die Werte sind höher (passives Wissen) und 9 der Befragten haben uns „angelogen“.
Soweit so gut, aber das Problem ist doch bei Fallstudien eher folgendes: Was sind sinnvolle Werte? Was kann ich erreichen? Wie unterscheiden sich die Werte in Bezug auf die %-Werte voneinander?
Bekanntheitsgrad-Werte: Was ist sinnvoll
Erstens: so pauschal kann man das nicht sagen – viele tun es zwar und geben Anhaltspunkte ab, aber das ist reine Kaffeesatz-Leserei und faktisch vollkommen unseriös. Zu viele Faktoren beeinflussen die Entwicklung des Bekanntheitsgrades: Werbe- bzw. Kommunikations-Budget, allgemeine Konsumentenstimmung, Relevanz des Produktes, Trends, Berichterstattung in den Medien/sozialen Netzwerken etc.
Zweitens: Ein hoher Bekanntheitsgrad sagt noch nichts über das Image des Produktes aus – er ist allerdings die Basis für alle weiteren Schritte. Nur mal so: In einer Befragung haben 94% der 30-59jährigen angegeben, die Marke NOKIA zu kennen – bei Samsung waren es 95% (das eine Prozent löst sich wahrscheinlich auch noch in Luft auf, wenn wir die Genauigkeit der Umfrage kennen würden, Quelle hier: https://.de.statista.com).
Und was NOKIA nun davon? Tendenziell eher sehr wenig – der Marktanteil (wir sprechen von Smartphones/Handys) liegt aktuell grade mal bei etwa 3,6%, der von Samsung mit 33,1% fast zehnmal höher (Quelle: heise.de / Stand 2018). Sowohl vom Marktanteil auf den Bekannhteitsgrad zu schliessen als auch umgekehrt ist nicht wirklich sinnvoll – schon fast eine Scheinkausalität.
Natürlich gilt grundsätzlich: Ein hoher Bekanntheitsgrad (innerhalb einer relevanten Zielgruppe) ist natürlich immer erstrebenswert. Nur ist ein Bekanntheitsgrad zuallererst halt eben nur ein Bekanntheitsgrad. Nicht mehr und nicht weniger.
Je kleiner die Zielgruppe, desto realistischer
sind hohe Bekanntheitsgrad-Ziele
„Moment“ höre ich da schon alle schreien. „Und was ist mit Coca Cola, Amazon, Zalando und Ebay? Die haben doch eine riesengrosse Zielgruppe?!“ Stimmt – und ein ebensolches Kommunikations-Budget. Nehmen wir mal Coca Cola:
Das Unternehmen Coca Cola gibt nach validen Schätzungen rund 4,5 Milliarden US-Dollar aus. Und verzeichnet im Gegenzug einen Umsatzrückgang von rund 3% bei den Süssgetränken – dem Teilmarkt, der 75% des Gesamtumsatzes des Unternehmens ausmacht.
Amazon Deutschland gibt im Jahr rund 550 Millionen Euro für Werbung aus, Zalando Deutschland rund 70 Millionen und Ebay Deutschland rund 25 Millionen. Die genannten Unternehmen gehören halt nicht zum „Durchschnitt“ – sie befinden sich auf der Normalverteilung quasi ganz rechts (Daher ist auch die Aussage: „Wir machen es wie Amazon…“ Schwachsinn – es sei denn, das bedeutet, mal eben einen dreistelligen Millionenbetrag in die Kommunikation zu stecken“.